Rezension: ‘Heuschrecken’ von Rimini Protokoll.
Heuschrecken von Rimini Protokoll.
Konzept und Regie: Stefan Kaegi
Gesehen: 8. april in HAU3
Mehr als 8000 Aktöre! Das müß wohl die größte Besetzung sein, die ich je im Theater gesehen habe. Glücklicherweise braucht die Gruppe Rimini Protokoll sie nicht zu bezahlen, es reicht ein bischen Grünzeug.
Also das ist das neue Projekt der Dokumentartheatergruppe Rimini Protokoll: ein Riesenterrarium mit Tausenden von Heuschrecken. In einem von transparänter Plastik überspanten Rohr (Durchmesser vier Meter) ist eine hügelige Wüstenlandschaft aufgebaut. Das Publikum sitzt zu beiten Seiten. An den Enden befinden sich Techniker, ein Musiker und drei Naturwissenschaftler. Auf den ersten Blick weckt das die Neugier (es ist ein ‘high-concept’, wie man in Hollywood sagt), aber wie wird daraus Theater
Die Vorführung verfolgt drei Spuren: eine theoretische, eine historische und eine metaforische. Insektenforscher Dr. Jörg Samietz ist der Star des Abends. Er spricht über die biologischen Eigenschaften, Herkunft und Lebensweise der Heuschrecken und die Merkmale des ‘Systems’, wie er das Terrarium –inklusive seine Hüter und Zuschauer- nennt. Seine Vorlesung wird unterstützt von Kameraaufzeignungen aus dem Inneren des Terrariums, die auf zwei Leinwände übertragen werden. Dabei erklingt Cellomusik von Bo Wiget, mit elektronisch verzerrten Klängen.
Zwischendurch erzählt der Somalische Dr. Zakaria Farah seine Lebensgeschichte, von seiner Jugend in der Sahelzone bis zu seinen Forschungen im bereich der Lebensmittelchemie in der Schweiz. Die einzelne Zonen des Systems werden zu einer Gedächtnislandschaft, in Erinnerung an zeine Reisen nach China, Brasilien, Mexiko und Ägypten. Eindrucksvoll ist die Geschichte des alten Afrikaners über eine Heuschreckenplage die er in seiner Kindheit mitgemacht hatte, und wie der Lehrer in der Koranschule keine erklärung dafür finden konnte.
Schauspielerin Lara Körte sitzt etwas erhöht, mit Blick nach unten auf das System. Sie liest aus dem ‘Logbuch’ des Projects, aber auch aus der Bibel, den Offenbarungen des Johannes und die Plagen Ägyptens, wo Heuschrecken eine Hauptrolle spielen). Aber sie ist auch diejenige die immer wieder Vergleiche anstellt zwischen wie sowohl Heuschrecken als auch Menschen die Welt leer fressen. Das wird ein bischen zu deutlich als Samietz in das System hinein geht und an bestimmten Stellen essen niederlegt. Die Heuschecken stürzen wie irre oben und unten einander zusammen zu dieser Stellen, wo es Schilder gibt auf denen ‘Gold’, ‘Erz’ oder ‘Erdöl’ geschrieben steht. Im Zuschauer ergebt es ein kribbeliges Gefühl. So wirkt die Botschaft dieser Vorstellung leider doch zu öffentlich moralisierend.
Es ist immer interessant zu sehen wie sehr in Deutschland das Avantgarde-Theater mit dem politischen Raum verbunden ist, aber in dem derzeitigen Trend des ‘Sachtheaters’ hat es gelegentlich den Anschein dass die Theatermacher zufrieden sind mit einer ansprechenden Idee, die sie darauf ungenügend künstlerisch gestalten (wie z.B. Ruanda Revisited von Hans-Werner Kroesinger). Heuschecken hat allerdings ein wunderbares Moment: am Ende durchkreuzt die Astronomin Barbara Burtscher, die für die NASA arbeitet, in einem Astronautenanzug unbeholfen aber doch auch unverkennbar erhaben das Terrarium. Menschen und Heuschrecken: wir werden einander immer wie außerirdische erscheinen.